Geschichte im Essener Norden

 

Der Streik der Bergarbeiter von 1872 auf den Zechen Anna und Carl in Altenessen

 

In diesem Jahr jährt sich zum 150mal der erste große Arbeitskampf der Bergleute der im Essener Revier 1872 ausbrach. Die Essener Kumpel konnten leider ihre Leidensgenossen aus den anderen Bergrevieren nicht von ihrer Absicht überzeugen und so brach der Ausstand, durch die harte Haltung der Zecheneigner, schnell zusammen.

Während des Wirtschaftsboom im Jahre 1871 befriedigten die Zechen die Nachfrage nach Kohlen kaum, dadurch erhöhten sich die Preise für Kohlen und der Waren des alltäglichen Bedarfs. Die Divi­denden der Bergbauaktien stiegen, doch die Löhne der Bergleute kaum. Hinzu kam, daß durch den Wohnungsmangel im Essener Gebiet, die Mieten stiegen.

Zu Beginn des Jahres 1872 führten die Bergarbeiter Veranstaltungen durch. Sie erörterten das Ver­hältnis von Kohlenpreis und Bergarbeiterlöhne. Die Kumpel stellten fest, daß durch die hohen Koh­lenpreise eine Erhöhung ihrer Löhne zwingend nötig war. Die Versam­melten beschlossen, daß jede Schachtanlage des Essener Raumes drei Delegierte wählten, die ihre Forde­rungen sammelten.

Die Führung der Essener Bergleute regte an, daß sich alle Belegschaften der Essener Zechen, auch die aus Altenessen, der Bewegung anschlossen.


Am 30. Mai trafen sich, angeregt durch das provisorisches Essener Komitee, die Bergleute der  Schächte Anna und Carl, man lud auch die Kum-pel von Neuessen ein. Es ging sehr turbulent zu. Nachdem ein Berg-mann, der nicht aus Altenessen stammte, das Wort ergriff, löste der überwachende Poli­zist die Versamm­lung auf, was die Anwesen-den nicht einsahen und so setzten sie ihr Tref­fen fort und wählten die drei Delegierte von hier. Veröffentlichung in der EVZ vom 29.5.1872

Am 2. Juni trafen sich über 5.000 Bergleute der Essener und der Zechen der Umgebung, in Saal des städtischen Garten, dem heutigen Saalbau; auch die Delegierten von Anna und Carl, nicht aber die von Neuessen, nahmen teil. Die Anwesenden erörterten die Situation in der sich die Kumpel befanden. Man wählte ein 12-köpfiges „Centralkomitee“ und beschloss einstimmig Forderun­gen an die Vorstände der Zechen zu senden. Die Forderungen waren: 

  1. 25 prozentige Lohnerhö­hung, 
  2. 8-stün­dige Schicht einschließlich Ein- und Ausfahrt, 
  3. Abschaffung des Beiladens, 
  4. Brand­kohlen zu einem bestimmten Preis. 

Die Anwesenden beschlossen ihre Forderungen an die Zechenverwaltungen wei­terzuleiten und baten diese, ebenfalls einen Ausschuss zu bestimmen und mit ihnen zu verhandeln.

Die Bergbauunternehmer lehnten jedoch jede Verhandlungen mit dem „sogenannten Zentralkomitee“ ab. Die Altenessener Bergleute diskutierten und übernahmen am 9. Juni die Forderungen der Esse­ner Kumpel und schlossen sich ihnen an. Diesmal verlief die Veranstaltung friedlich. 25 weitere Beleg­schaften taten es den Altenessener Kollegen gleich.

Zu den Vorbereitungen auf den Streik gehörte ein Aufruf der Essener Arbeiterführer vom 15. Juni an die „auswärtigen Kameraden.“ Sie baten die Kumpels aus den anderen Bergrevieren, im Falle eines Streiks, keine Arbeit auf Essener Zechen anzunehmen. Einen Tag später erschien in der Essener Zeitung ein Leserbrief eines Bergmanns, der behauptete, daß die Bergleute mit ihrer Situation zu frie­den seien. Anders sei es bei den Kumpeln, die in Luxus lebten und ihren Verdienst für Schnaps aus­gaben. Ein anderes Bild zeigte ein Treffen der Arbeiter am 16. Juni, es gehörten bereits Belegschaf­ten von 40 Zechen dazu, im städ­tischen Garten. Da so viele Kumpel teilnehmen wollten, teilte man die Masse auf zwei Ver­anstaltungen auf, die eine um 10.30 Uhr und die andere um 13.00 Uhr. Beide Zusammentreffen stimmten einhellig für einen Ausstand, obwohl keine Gewerkschaften oder Streik­kassen ihnen bei­standen.

Am nächsten Tag begann der Arbeitskampf in Essen und Umgebung. In Altenessen beteiligten sich nur die Belegschaften der Schächte Anna und Carl daran. Die Gesellschaft Neuessen erkaufte sich die Nichtbeteiligung ihrer Arbeiter mit einem Bergfest. Insgesamt beteiligten sich am ersten Tag 14855 Bergarbeiter.


Tabelle 1: Während des Streiks fuhren auf den Altenessener Zechen Anna und Carl an:

 


Das Essener Streikkomitee versuchte auch die Kumpel aus Dortmund und Bochum von einem Aus­stand zu überzeugen. Deren Vertreter lehnten aber einen Streik ab.

Die Staatsmacht setzte massiv Polizeibeamte zur Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung ein, ob­wohl es keine Anzeichen für „Straßenaufläufe, Tumulte oder ähnliche Exzesse“ gab. Die Bergleute taten es den Behörden gleich und setzten Ordnungs­kräfte aus ihren eigenen Reihen ein. Sie trugen zum besseren erkennen ein Band im Knopfloch. So meldete der Revierbeamte Heyer, das Streikposten auf der Alte­nessener Grubenstraße und auf der Altenessener Straße patroullierten.

Die Streikenden trafen sich fast jeden Tag und das Streikkomitee schaffte es auch ohne schnelle Ver­kehrsverbindungen oder Telefon, der Weg von Altenessen nach Essen nahm eine ganze Stunde in Anspruch, alle Teilnehmer auf den neusten Informationsstand zu bringen. Die Streikenden kenn­zeichneten sich durch das Bergmannszeichen Schlägel und Eisen an den Mützen.

In dieser Zeit gab es keine Unterstützungskassen, die den Bergleuten halfen den Ausstand zu finan­zieren. So richtete das Komitee der Streikenden am 17. Juni einen Aufruf an die Bürger. Sie baten sie, den Bergleuten Arbeit zu geben sie oder durch andere Mittel zu helfen. Sam-melaktionen auf den Straßen verbot die Polizei; hielten sich die Kumpel nicht daran, bestrafte sie die Aufsichtsbehörde

 

Veröffentlichung in der EVZ 17.6.1872

 

Obwohl die Altenessener Belegschaften am 1. Juli beschlossen den Streik aufrechtzuhalten, bröckelte die Zahl  der Ausständigen immer weiter ab, siehe Tabelle 1.

Auf der Generalversammlung der Zechenbesitzer, am 9. Juli in Essen, erklärte der Direktor des Köl­ner Bergwerksverein, Bergassessor Krabler, daß der Streik keine Frage der Not, sondern eine Machtfrage sei. Das Komitee der Bergleute bezeichneten die Berg­baubetreibenden als nicht legitim. Ihre Forderungen hätte man auf dem Wege der Verhandlungen mit den einzelnen Verwaltungen er­reichen können. Sie bezeichneten die gegenwärtigen Arbeitseinstellungen als bedauernswerten Aus­druck der jahrelangen Gemüt und Geist verhetzenden Einflüsse der Arbeiterführer.

Die Bergarbeiterdelegierten versuchten am 11. Juli erneut bei den Grubenverwaltungen eine Antwort auf ihre Forderungen zu erhalten. Diese igno­rierten sie jedoch erneut. Die Bergleute streikten darauf­hin wei­ter.

Die Beteiligung am Streik ließ, durch diese harte Unternehmerhaltung, dennoch immer weiter nach. Am 15. Juli 1872 mel­dete die Bürgermeisterei Altenessen, daß der Streik in Altenessen als beendet angesehen werden könne. Offiziell brachen die Bergarbeiter den Arbeits­kampf am 28. Juli wegen Mangel an Geldmitteln ab. Am 29. Juli erschienen auch auf den Altenessener Schachtanlagen Anna und Carl alle Bergleute wieder zur Schicht. Sie taten es notgedrungen und in sehr gedrückter Stim­mung. Die Arbeiter, vor allem die verheirateten, gerieten durch den Ausstand in eine wirtschaftliche Notlage.

Die Zechenbesitzer reagierten schon während dieses Streikes mit Maßregelungen. Am 17. Juli 1872 beschlossen sie, „bis zum 1. September keinen Arbeiter von einer streikenden Ze­che auf einer anderen anzulegen.“ Die Agitatoren sollten gar „von der Bergarbeit im gan­zen Oberbergamtsbezirk Dortmund ausgeschlossen bleiben.“

Nach Beendigung des Arbeitskampf beschuldigten die Zechenbesitzer die Vertreter der Kirchen durch ihre „klerikalen Wühlereien“ Unzufriedenheit bei den Arbeitern zu erzeugen und damit eine Teilschuld an der Arbeitseinstellung mitzutragen.

Im Gegensatz zu den Reaktionen der Bergbaubetreibenden, gab es nur eine geringe Anzahl an Schuldsprüchen durch die Gerichte. Dies zeigte, daß die Streikenden Ruhe und Ordnung während des Ausstandes weitgehend einhielten. Das Essener Kreisgericht bestrafte dagegen Nichtigkeiten die vorkamen, besonders hart. Am 19. Juni beispielsweise verurteilte es zwei Altenesse­ner Bergleute zu drei beziehungsweise vier Wochen Gefängnis, weil sie einige Bergleute von der Arbeit abhalten woll­ten.


26.04.2022 Hans Jürgen Schreiber Altenessener Geschichtskreis



Die erste Zeche in Altenessen: Zeche Anna 1910  /  An der "Gladbecker Straße"
Aus dem Altenessener Kalender 1995 / Januar  //  17.10.2022  Günter Napierala