Geschichte im Essener Norden

 

Als Zwangsarbeiter in Essen – Aus den „Erinnerungen" von Imo Moszkowicz

 

Im November 1939 wurde Ahlen in Westfalen zur „judenreinen" Stadt erklärt. Alle Juden wurden ausgewiesen, ihre Wohnungen beschlagnahmt. Nur Berlin und Essen nahmen sie noch auf. So kam die Familie Moszkowicz nach Essen. Imo war erst 13 Jahre alt.

Ihnen wurde zuerst eine ehem. jüdische Metzgerei an der Schützenbahn als Wohnung zu gewiesen. Sie sind aber nach kurzer Zeit zum Holbeckshof in das zentrale Judenlager nach Steele verlegt worden. Mit seinen beiden Brüdern zusammen wurde er für das RWE-Kraftwerk Karnap zur Zwangsarbeit verpflichtet. Zuerst waren sie Hilfsarbeiter bei Straßenbauarbeiten, dann im Kohlenbunker tätig. Die Arbeit war für die Jugendlichen viel zu schwer. Er erinnert sich: Es war staubig – dreckig – wir hatten ständig Hunger – die Schicht dauerte 12 Stunden – manchmal wochenlang ohne einen freien Tag – der Kohlenstaub saß fest auf der Haut und in den Haaren – wir hatten das Gefühl, dass wir bis zum Tode ausgenutzt werden sollten. Als auf Veranlassung eines Betriebsleiters die Schicht auf 8 Stunden in dieser „Hölle" gekürzt wurde, waren wir erleichtert.

In dieser Zeit ist sein Bruder David denunziert worden: er hatte sich von einem „privilegierten Juden" zu einem Kinobesuch auf der Altenessener Straße überreden lassen. Das war Juden bei Strafe verboten. Die Platzanweiserin, die auch zeitweilig als Schaffnerin tätig war, erkannte ihn. Obwohl er sofort das Kino verließ, ist er noch am gleichen Abend von der SS verhaftet und nach Auschwitz gebracht worden. Als er auf der „Rampe" von einem SS-Mann angefasst worden ist, hat er diesen spontan geohrfeigt. Der hat ihn sofort mit seiner Pistole erschossen.

Am 21.4.1942 sind die Juden vom Holbecks Hof über Hbf Essen nach Auschwitz „verlegt" worden. Bis auf die arbeitsfähigen Männer wurden alle in den Gaskammern umgebracht, auch Imos Mutter und seine Schwestern. Die Männer hatten im „Buna-Werk" Zwangarbeit für die IG-Farben zu leisten. Als Anfang 1945 die Front näher rückte, wurden die Häftlinge in „Todesmärschen" gezwungen nach Westen zu marschieren. Dabei kamen sehr viele um. Er hat überlebt und ist in Reichenberg, 350 Km von Auschwitz von der Roten Armee befreit worden.

Imo Moszkowicz kehrt als „freier" Mann nach Ahlen zurück und bekommt eine Stelle bei der Stadtverwaltung. Er soll Bezugsscheine ausgeben für Sachen, die es nicht gibt. Als in Warendorf die „Junge Bühne" gegründet wird, macht er sofort begeistert mit. Er hatte schon bei „Buna" an den verordneten „Kulturabenden" sein schauspielerisches Talent entdeckt. 1947 bewirbt er sich bei Gustav Gründgens als Regieassistent und wird angenommen. Er bleibt neun Jahre dort. Am Berliner Schillertheater arbeitete er später mit Fritz Kortner zusammen.

Imo Moszkowicz hat als Regisseur bei über 100 Bühnenwerken und 200 Filmen für Kino und Fernsehen Regie geführt. – In Deutschland und vielen anderen Ländern – Er hat in den 50er Jahren die Filme mit Heinz Rühmann und Theo Lingen gedreht, in Essen am Stadttheater den „Sommernachtstraum" inszeniert. Er ist mit Ernst Schmidt durch Altenessen gewandert, hat die Stellen gesucht an die er sich erinnerte. Aber es gab sie nicht mehr. Er hätte auch gerne die kleine „Nazisse" gefragt, warum sie seinen Bruder denunziert hat. Bei seiner Arbeit in Argentinien hat er eine Frau kennen gelernt, sie haben geheiratet. Dass sie die Tochter eines hohen NS – Funktionärs war, hat er gewusst. Die Ehe hat ein ganzes Leben gehalten.

Er hat für seine Tätigkeit als Regisseur viele nationale und internationale Ehrungen bekommen: Das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik und als besondere Auszeichnung: am 2. März 2006 wird er Ehrenbürger seiner Heimatstadt Ahlen. In seiner Dankesrede sagt er: er empfinde keinen Hass auf die Vergangenheit – er sei „Ahlener". Die Familie: Frau, Tochter, zwei Söhne, zwei Enkel und seine Schwiegertochter, die erfolgreiche deutsche Regisseurin Doris Dörrie waren dabei.


Imo Moszkowicz ist am 11.Januar 2011 mit 85 Jahren in Ottobrunn bei München gestorben.

Alle großen deutschen Tageszeitungen haben ihn gewürdigt Der „Spiegel" hat über ihn berichtet. Nur die WAZ hat sich mit einer ganz kleinen Notiz begnügt Ich habe eine E-Mail an die Redaktion geschickt – keine Antwort!


15.Oktober 2011 Günter Napierala