August Brust Bergmann und Gewerkschaftsgründer in Altenessen
August Brust war in Vergessenheit geraten, an sein Wirken in Altenessen als Gewerkschaftsgründer erinnert sich keiner mehr. Nach Ablauf der Ruhefrist 1975 wurde sein Grab auf dem Nordfriedhof in Altenessen eingeebnet. Der große Findling mit seinem Namen wurde durch Zufall auf dem Lagerplatz eines Steinmetzes entdeckt. Durch die Initiative der KAB St- Johann, Altenessen, des KAB -Bezirksverbandes Essen und des CDU – Ratsherrn Dieter Geeven wurde der Stein gerettet und auf dem Nordfriedhof in Altenessen aufgestellt. Private Spender übernahmen die Kosten. Es fand eine kleine Feierstunde statt. Die Stadt Essen und die Presse nahm keine Notiz davon. Nur das „Ruhrwort“ berichtete darüber.
August Brust wurde am 1. August in 1882 in Essen – Heidhausen geboren. Der Vater starb früh durch einen Unfall in einer Kohlengrube. Schon mit 11 Jahren arbeitete er nach Schulschluss bei einem Landwirt, um zum Unterhalt der Mutter und seiner acht Geschwister beizutragen. Nach der Schulzeit arbeitete er im Stollenbergbau an der Ruhr. Mit 16 Jahren wurde er Schlepper. Die vollen Kohlenwagen mussten von Hand zum Stolleneingang gezogen werden. Brust fand, dass er und seine Kameraden für diese schwere und gefährliche Arbeit bei einem Monatslohn von 35,- Mark zu wenig verdienten. Eine Bitte bei den Grubenverwaltern um bessere Entlohnung wurde abgelehnt. So legten sie die Arbeit nieder. Der „Streik“ dauerte nur einen halben Tag und wurde durch „gutes Zureden“ des Grubenverwalters beendet. Am nächsten Tag wurde dann der Lohn tatsächlich erhöht. Diese erste Erfahrung, dass nur ein gemeinsames Handeln Erfolg hat, prägte August Brust in seinem weiteren Leben beim Kampf gegen Ungerechtigkeit und Benachteiligungen.
Mit 20 Jahren verließ er seine Heimat an der Ruhr. Die neuen Zechen in der Emscherniederung zahlten höhere Löhne. Brust fand Arbeit auf der Zeche „Neu Essen“ in Altenessen. Hier war alles anders, als im ländlichen Heidhausen. Die Gemeinde war in nur drei Jahrzehnten um das Zehnfache gewachsen. Sie war aber noch ein großes, uneinheitliches Dorf, ohne erkennbare Struktur. 1882 heiratete er Anna Körber. Da es kaum Wohnraum gab, zogen sie zu den Schwiegereltern in die „Fünf-Höfe-Straße“. Sie bekamen 12 Kinder und mussten immer wieder eine neue größere Wohnung suchen. Brust trat in den 1883 gegründeten katholischen Knappenverein „Bergmannsglück“ ein. Aufgaben dieses Vereins waren die Wahrung „Sozialer Interessen“ und die Eingliederung der neuen Bergleute und ihrer Familien in das Gemeindeleben. Die Einhaltung religiöser Pflichten und die Beachtung eines standesgemäßen „Verhaltens“ (Zitat) hatten einen hohen Stellenwert. So fand August Brust in der katholischen Gemeinde St. Johann und im Knappenverein ein Stück Heimat in der neuen Umgebung.
Neben seiner Arbeit auf „Neu Essen“ nutzte Brust jede freie Minute um sich weiter zu bilden. Er hatte erkannt, dass nur durch ein entsprechendes Wissen die Lage der Bergleute verbessert werden konnte. In der Gemeinde gab es seit 1890 die Borromäus Bücherei mit Fachliteratur, die er regelmäßig besuchte.
Die Arbeit der Bergleute untertage war schwer und gefährlich. Es gab viele Unfälle. Sie hatten dem „Herrn im Hause Standpunkt“ der Grubenverwaltung nichts entgegen zu setzen. Die Löhne wurden je nach der Absatzlage erhöht oder auch gesenkt. Sie reichten oft nicht, die Kosten für den Lebensunterhalt zu decken. Die Bergleute wurden zu Überschichten gezwungen, mussten Hilfstätigkeiten verrichten, die von der eigentlichen Arbeitszeit abgingen und so das Gedinge verringerten. Die Bergleute forderten eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Das wichtigste Anliegen war ein gerechter, ausreichender Lohn. Dazu kam eine verbesserte Wetterführung untertage und der Waschkauenverhältnisse. Auch die Organisation war oft mangelhaft; so mussten z.B. auf der Zeche Osterfeld die Bergleute bei der Markenkontrolle im Winter oft bis zu 20 Minuten auf dem freien Zechenplatz stehen und warten.
Um 1890 waren die Gewinne der Zechenunternehmen entsprechend hoch: die Dividenden betrugen bei einzelnen Gesellschaften bis zu 40 % - manchmal noch viel mehr, 7 bis 10 % wären beim eingesetzten Kapital angemessen gewesen.
Es gab Versuche, durch die Gründung von „Bergarbeitervereinen“ mit den Grubenverwaltungen Verhandlungen zu führen. Sie wurden als Gesprächspartner abgelehnt, hatten keinen Erfolg. Auf die vielen wilden Streiks, wurde mit Aussperrungen geantwortet. Wer an solchen Arbeitskämpfen teilnahm, kam auf eine schwarze Liste und hatte Probleme, auf anderen Bergwerken Arbeit zu finden. Brust wird wegen seiner „patriotischen“ Arbeit zweimal gekündigt und hat auf Stinnes in Karnap wieder anlegen können, weil der Grubenbeamte von seinem Rauswurf auf Neu - Essen und den Emscherschächten noch nichts erfahren hatte.
Die Bergleute waren in viele Gruppen aufgesplittert: die Katholischen, die den Kulturkampf noch nicht vergessen hatten, die Evangelischen, die Kaisertreu waren, die Sozialisten, die erst 1890 nach dem Ende der Bismarck`schen Sozialgesetze sich wieder organisieren durften. Dazu kamen die „Einheimischen“ kleinen Bauern, die die Arbeit im Bergbau als Nebenerwerb betrachteten und die Zuwanderer aus dem Osten, die oft nur polnisch sprachen. Der Preußische Staat verhinderte mit seiner Gesetzgebung die Bemühungen der Arbeiter sich zu organisieren. Auch der Klerus versuchte Einfluss zu nehmen. Nach seiner Auffassung sollte Gehorsam und das Seelenheil an erster Stelle stehen. Eine Zusammenarbeit mit katholischen und evangelischen Gruppen wurde abgelehnt. Wirtschaftliche und soziale Fragen spielten eine untergeordnete Rolle. Nur wenige aus diesem Kreis, wie der Mainzer Bischof Ketteler oder Adolf Kolping, erkannten die Not und versuchten zu helfen.
In den 1890er Jahren begann ein Umdenken. Franz Hitze, katholisch und Professor in Münster ist von der Notwendigkeit interkonfessioneller Gewerkschaften überzeugt. Der katholische Volksverein befürwortet 1892 die Bildung von Gewerkschaften als Arbeitervertreter. Der Kölner Weihbischof Schmitz verteidigt auf einer Versammlung in Essen diese interkonfessionelle Zusammenarbeit. Er wird dafür von vielen anderen Bischöfen angefeindet. Am 20.10.1894 findet die Gründungsversammlung des Gewerkvereins christlicher Bergarbeiter für den Oberbergamtbezirk Dortmund statt. Brust wird unter dem Jubel der Versammlung als erster Vorsitzender gewählt. In den ersten drei Monaten des Bestehens finden 38 Versammlungen statt – immer am Sonntag – wegen der 6-Tage-Woche. Die erste Geschäftsstelle des Gewerkvereins hatte Brust in seiner Wohnung in der Kirchstraße in Altenessen eingerichtet.
1909 wird er von der Arbeit freigestellt, er bekommt ein Monatsgehalt von 150 Mark. Er hatte 22 Jahre Untertage gearbeitet. Bis 1890 war Brust der einzige Angestellte des Vereins, dann kamen noch zwei dazu. 1904 waren es schon acht Mitarbeiter. Der christliche Gewerkverein hatte in diesem Jahr 4500 Mitglieder, die bedeutendsten Gruppen waren Borbeck und Altenessen. Es begann auch eine Zusammenarbeit mit dem sozialistischen Alten Verband, wenn es dem Interesse der Bergarbeiter diente. 1903 wird er als erster Bergarbeiter überhaupt über das Zentrum in das preußische Parlament gewählt. Er hat den Wahlkreis Recklinghausen – Borken „persönlich“ erobert. Er bleibt bis 1924 ohne Unterbrechung Abgeordneter, nach der Monarchie auch in der Republik. 1924 tritt er als Vorsitzender der Gewerkschaft zurück – man wirft ihm vor, dass er zu viel selber machen wollte und nichts delegieren konnte. Im Parlament war er aktiv an der Reform des preußischen Berggesetzes beteiligt. Er war anschließend als Redakteur bei der Buerschen Zeitung tätig und hatte zeitweilig auch die Schriftleitung der Recklinghäuser Morgenpost inne. 1919 wurde er als Vertreter der Arbeitnehmer im Vorstand des Niedersächsischen Kohlensyndikats in Hannover zum zweiten Geschäftsführer ernannt.
In seinen letzten Lebensjahren war Brust häufig krank, er zog sich deshalb in das Privatleben zu seiner Familie zurück. Am 20. April 1924 starb er in Hannover an den Folgen eines Schlaganfalls. Seine Kameraden und Freunde hatten ihn acht Tage im Essener Saalbau aufgebart, damit alle von ihm Abschied nehmen konnten. Seinem Wunsche gemäß wurde er auf dem Nordfriedhof in Altenessen beigesetzt. Der Trauerzug zog durch die ganze Stadt, er hatte bereits den Friedhof erreicht, als sich immer noch Menschen am Saalbau einreihten.
1933 wurden die freien Gewerkschaften durch die Nazis zerschlagen. Die Erinnerungen an die Bergarbeiterführer wurden ausgelöscht. Brust geriet auch in seiner Heimatstadt Essen in Vergessenheit. In Heidhausen wurde die „Bruststraße“ von 1929 im Jahr 1934 umbenannt. Sie erhielt 1945 wieder ihren alten Namen. Auf dem Nordfriedhof in Altenessen erinnert seit 1983 der große Findling mit einer Gedenkplatte an sein Wirken.
22.09.2014 Günter Napierala Altenessener Geschichtskreis.