Dr. Carl Klinkhammer, Kaplan an St. Johann am Karlsplatz in Altenessen, von 1931 - 33
St. Johann feiert 2012 das 150-jährige Bestehen der Gemeinde. Sie wurde 1862 als Filialgemeinde von St. Gertrud in Essen gegründet. Es gab schon bald ein reges Pfarrleben mit vielen Vereinen.
Aus Anlass des Jubiläums soll an den Ruhrkaplan Dr.Carl Klinkhammer erinnert werden.
Die Kirche St. Johann am Karlsplatz im Jahr 2010
Dr. Carl Klinkhammer wurde mit 29 Jahren als Kaplan an die Johanneskirche in Essen berufen. Irrtümlich hatte er sich in der Gemeinde St. Johann in Altenessen vorgestellt. Aber nun war er da und verstand sich sofort mit dem Pfarrer Dr. Kreutzer. Das Erzbistum Köln war einverstanden damit, dass er in dieser Pfarrei blieb.
Klinkhammer war Deutsch- und Französischlehrer an einem Gymnasium in Opladen. Der Wechsel konnte nicht abrupter sein. Aus einer mittelgroßen, bürgerlichen Stadt kam er in eine Großstadtpfarrei nach Essen. St. Johann hatte 1931 ca. 14000 „Seelen“, es waren fast alles Bergarbeiterfamilien. Sie galt als die „schwierigste“ Gemeinde im Erzbistum Köln.
Altenessen war eine schnell gewachsene Industriegemeinde mit sechs großen Schachtanlagen, Bergmanns-Siedlungen, Privathäusern, Hinterhöfen, freien Flächen und Gärten. Straßen und viele Eisenbahnlinien durchschnitten den Stadtteil und verhinderten eine sinnvolle Stadtentwicklung.
Viele Bergleute waren arbeitslos und sehr empfänglich für die radikalen Parolen dieser Zeit.Stärkste Partei in Altenessen waren die Kommunisten. Erst an zweiter Stelle kam das Zentrum.Carl Klinkhammer hatte sich schon sehr früh mit der „Roten“ und „Braunen“ Ideologie auseinandergesetzt und Stellung bezogen.
Im Jm Juni 1932 gab es in Essen 92 000 Arbeitslose. Als Kaplan in einer Arbeiterpfarrei galt seine Solidarität auch den kommunistischen Arbeitern, deren Zentrum „die rote Heßlerstraße in Altenessen“ war. Er besuchte sie, hielt Kontakt zu ihnen, diskutierte und hörte sich ihre Probleme an. uni 1932 gab es in Essen 92 000 Arbeitslose. Als Kaplan in einer Arbeiterpfarrei galt seine Solidarität auch den kommunistischen Arbeitern, deren Zentrum „die rote Heßlerstraße in Altenessen“ war. Er besuchte sie, hielt Kontakt zu ihnen, diskutierte und hörte sich ihre Probleme an.
Den Kindern erteilte er in einer freien Schule Religionsunterricht, versammelte ihre Eltern und feierte mit ihnen am Heiligabend eine Weihnachtsfeier, bevor er zur Christmette in die Pfarrkirche ging. Viele Zusammenkünfte mit den „Roten“ fanden in einer Holzbaracke an der Ecke Heßler - Emschersraße statt. Heute steht dort die Kirche Herz Mariä. Klinkhammer hatte sich schon damals für eine Kirche an dieser Stelle eingesetzt und auch Geld dafür gespendet.
Durch seine Arbeit geriet er bald in Gegensatz zum Bürgertum und den Unternehmern, die in ihm den „Roten Ruhrkaplan“ sahen. Der Seelsorger Carl Klinkhammer zeigte, dass die Katholische Soziallehre die Solidarität mit allen Menschen fordert und auch konkrete Hilfe leisten soll. In Altenessen konnten viele Arbeiter wegen der hohen Arbeitslosigkeit ihre Familien kaum noch ernähren. Er half mit der Einrichtung einer „Trinkhalle“ in der man sich mit Lebensmitteln billig versorgen konnte. Als die Polizei eine kommunistische Protestversammlung auf dem Karlsplatz mit Gummiknüppeln auseinander treiben wollte, kam Carl Klinkhammer dazu und sorgte für eine Entspannung. Er forderte die Leute auf, sich auf seine Kosten in der nahe gelegenen Bäckerei Brötchen zu holen. In der Presse stand am nächsten Tag: „Die wunderbare Brotvermehrung hat auf den Straßen von Altenessen stattgefunden“. Die wunderbare Brotvermehrung war auch das Evangelium vom folgenden Sonntag. Mit seiner Haltung hat er viele Arbeiter der Kirche wieder näher gebracht.
Bei aller Solidarität mit den Arbeitern lehnte Klinkhammer den atheistischen Bolschewismus und Kommunismus konsequent ab. In einer Rede am 1. Mai 1932 im Städtischen Saalbau bezog er klar Stellung gegen die Gottlosigkeit dieser politischen Entwicklung und erregte großes Aufsehen. Klinkhammer hatte recht früh den Nationalsozialismus als eine „säkularisierte Heilslehre“ entlarvt. Hitlers „Mein Kampf“ war für ihn bereits ab 1930 zur „Pflichtlektüre“ geworden. Der Kölner Kardinal Schulte war erstaunt, dass der junge Kaplan so etwas gelesen hatte. Er forderte ihn auf, die Punkte aufzuzeigen, die mit der christlichen Lehre nicht vereinbar waren. Es waren ein abgrundtiefer fanatischer Rassismus und Hass gegen das Judentum und auch gegen das Christentum. Das ist von vielen Zeitzeugen so nicht erkannt worden. Ab 1932 wies er in seinen Sonntagspredigten in der Kirche auf die Gefahr durch dieses NS-Gedankengut hin und bezeichnete es als modernes „Neuheidentum“. Er wurde zu vielen abendlichen Vorträgen eingeladen, zuerst in Essen, dann im ganzen Ruhrgebiet und sogar bis nach Oberschlesien. Neben diesen Vortragstätigkeiten verstärkte er aber auch seine Arbeit als Seelsorger in St. Johann. Die männliche Jugend bereitete er auf die Erfordernisse der Zeit und die Zukunft vor.
Der Machtantritt Hitlers am 30. Januar 1933 brachte das Ende der Weimarer Republik. Dem Reichstagsbrand vom 27.2.1933 folgten die Neuwahlen vom 5. März 1933, bei denen die NSDAP 43,9 % der Stimmen erringt. Mit dem Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 befreit sich Hitler von der Verfassung und jeder parlamentarischen Kontrolle. Carl Klinkammer war bereits 1932 als erfolgreicher Redner bei Zentrumsveranstaltungen aufgetreten. Im März 1933 sprach er in Hattingen zum Thema „Deutsche Wiedergeburt“ .Das war eine kritische Auseinandersetzung mit den neuen Machthabern. Diese Aktivitäten blieben natürlich nicht verborgen. Er wurde überwacht und bespitzelt. Vom Regierungs-präsidenten in Arnsberg wurde sogar ein Redeverbot für Klinkhammer gefordert.
Am 12.April 1933 hatte Klinkhammer in der überfüllten Hedwigskirche in Altenessen eine Fastenpredigt gehalten. Wie immer hatte er auch diesmal politische Gedanken eingefügt. Hintergrund war, dass der 33-jährige Essener Gauleiter Terboven die Druckerei der „Essener Volkszeitung“ von SA-Leuten besetzten liess und sie gezwungen hatte, eine Rede Görings zur Kommunalwahl abzudrucken. Das hatte Klinkhammer scharf kritisiert und es sollte für ihn auch Folgen haben.
Hitlers Geburtstag am 20.April 1933 wurde in Essen mit Festreden, mit Verleihung der Ehrenbürgerwürde und einer „Adolf-Hitler-Straße“ groß gefeiert. Auf dem Burgplatz fand eine offizielle Veranstaltung aller NS-Gruppen statt. Für 18 Uhr war eine Abendandacht in St. Johann vorgesehen. Stadtdechant Dr. Kreutzer hatte dazu eingeladen. Die Ansprache hatte er seinem Kaplan Dr. Klinkhammer überlassen, der sich schon in den Sonntagsmessen vorher vor jeweils 3000 Besuchern mit Aspekten der NS-Ideologie auseinandergesetzt und sie christlichen Grundsätzen gegenüber gestellt hatte. Er schien also der richtige Mann zu sein! Klinkhammer bezog sich auf zehn Punkte der Rede Hitlers vor dem Reichstag am 23. März und verglich sie mit der Christlichen Lehre. Eine Gemeinsamkeit war nicht gegeben. Für seine scharfen, präzisen Formulierungen bekam er spontanen Beifall. Für die Anhänger Hitlers, die auch zahlreich bei dieser Andacht vertreten waren und die eine „Fest-Lobrede“ erwartet hatten, war das eine Bloßstellung und Verspottung des Reichskanzlers.
Am Freitag, den 1. April 1933, war in der Kirche die Generalprobe mit 293 Kindern für die Erstkommunion am Sonntag. Der Pfarrer und seine vier Kapläne waren dabei, als plötzlich SA- und SS-Leute durch einen Seiteneingang hereinkamen, die Probe unterbrachen und Klinkhammer verhafteten. Die Kinder wurden nach Hause geschickt. Die Verhaftung Klinkhammers verbreitete sich sofort in Altenessen und sorgte für große Unruhe. Er wurde ins Polizeigefängnis gebracht. Es war offensichtlich ein Racheakt der SA und SS auf die „Gratulationsrede“. Ein richterlicher Haftbefehl lag nicht vor.
Carl Klinkhammer war der erste Katholische Geistliche in Deutschland, der in „Schutzhaft“ genommen wurde. In der Folge kamen Redeverbot, Aufenthaltsverbot für Essen und viele Gerichtsverfahren dazu.
Es ist später in einem Schreiben bestätigt worden, dass diese erste Verhaftung auf Veranlassung des Gauleiters Terboven erfolgt war. Die Justiz war von der SA und SS übergangen worden.
Carl Klinkhammer blieb bei seinem Widerstand gegen die NS-Ideologie. Er hat mit viel Glück die NS-Zeit und den Kriegseinsatz als Sanitätssoldat überlebt. Er war später als Seelsorger in Bonn und als „Bunkerpastor“ in Düsseldorf-Heerdt tätig. Er ist am 22. Januar 1903 in Aachen geboren worden und starb am 8. Januar 1997 in Düsseldorf. Er war fast 94 Jahre alt
In vielen Gesprächen nach dem Krieg machte er deutlich, dass er sehr unglücklich über die Rolle der katholischen Bischöfe im Widerstand gegen Hitler war!
Zur Erinnerung an Carl Klinkhammer ist an seinem 100. Geburtstag in St. Johann diese Gedenktafel enthüllt worden.
Von Bruno Kamman ist 1997 im Klartext-Verlag Essen eine Biographie über Carl Klinkhammer erschienen. Sie gibt einen guten Einblick in die politischen und sozialen Verhältnisse der 30er Jahre in Altenessen.
16.06.2012 Günter Napierala, Altenessener Geschichtskreis