Familie Kurt Stern
Feld - und Industriebahnwerk auf der Bruckmannstraße in Altenessen
In Altenessen gab es auf der Altenessener Straße einige bekannte Geschäfte, deren Besitzer dem jüdischen Glauben angehörten. Weniger bekannt war, dass in der Bruckmannstraße, gegenüber der Brauerei Stauder eine jüdische Firma für Feld – und Industriebahnen existierte. Der Inhaber hieß Kurt Stern.
Er kam am 24. September 1869 in Steingau Kreis Glogau als Sohn des Arztes Doktor Wilhelm Stern und dessen Ehefrau Hildegard geborene Neuhof zur Welt.
Kurt Stern lernte in Breslau Käte Fuchs kennen und beide heirateten dort. Käte war die Tochter von Ferdinand und Therese Fuchs geborene Alexander und wurde am 30. Januar 1882 in Breslau geboren. Ferdinand Fuchs besaß eine Maschinenfabrik in Breslau.
Nach dem Abitur erlernte Kurt den Kaufmannsberuf. Seine berufliche Laufbahn begann er mit einer kaufmännischen Lehre bei der Firma Ohrenstein & Koppel in Dortmund, die zu diesem Zeitpunkt Feld- und Industriebahnen bauten. 1902 machte er sich selbständig und eröffnete in Essen in der Akazienallee 24 ein Geschäft für „Eisenbahn- und Feldbahnmaterialien, Anschlussgleisen, Lieferungen von Maschinen und sonstigen Bedarfsartikel für Baugewerbe und Industrie“. Die Familie wohnte von nun an am Stadtgarten 8 in der 1. Etage.
Der erste Sohn von Kurt und Käte Stern, Werner, kam am 9. August 1905 zur Welt. 1908, am 24. April, wurde der zweite Sohn, Reinhard, geboren.
Am 5. Dezember 1917 erwarb er das Gelände an der Bruckmannstraße 101 von der Stadt, das zuvor Ackerland war. Hier entstand auf dem etwa 5 Morgen großen Feld eine Fabrik für „Feld- und Industriebahnen“.
Ein Jahr nach Baubeginn eröffnete Stern das Werk in Altenessen. Reinhard Stern berichtete, das auf dem Grundstück ein Bürogebäude, eine sehr große Werkstatt unterteilt in mehreren Abteilungen, eine riesige Schiebebühne, um die Lokomotiven in die Werkstatt zu fahren, ein fahrbarer Demag Dampfkran, ein stationärer Kran zum Be- und Entladen, viele Schuppen für Kleinmaterial, eine Garage für Autos und Waschräume für die Arbeiter vorhanden waren. In der Werkstatt befanden sich mehrere große Drehbänke zur Bearbeitung der Spurkränze von Eisenbahnradsätzen, Fräsmaschinen, Stanzen und vieles mehr an Maschinen. Auf dem Gelände befanden sich zwei Lagerplätze von 40.000 m². Es existierte ein direkter Bahnanschluss zum Bahnhof Katernberg Nord, den Kurts Stern selbst anlegen ließ. Die Fabrik bot in den besten Zeiten etwa 40 Arbeitern und 15 bis 20 Angestellten einen Arbeitsplatz.
Nach Beendigung des ersten Weltkrieges kaufte Kurt Stern von dem Bauunternehmen F. Stallmann ein Grundstück in der Bischofstraße 7. Auf dem Gelände lies Kurt Stern ein Dreifamilienhaus bauen. Nach Fertigstellung des Hauses bezogen es die beiden Prokuristen Willy Lampmann und Franz Rittel, sowie der Ingenieur Kurt Wittig.
Das Leben der Familie Stern verlief sehr harmonisch. Nach Aussage von Reinhard Stern war seine Mutter eine sehr musikalische Frau, die wunderbar Klavier spielte. Oft musizierte sie mit den Mitgliedern des städtischen Orchesters; auch im Hause Sterns inszenierte die Familie häufig Musikabende, bei denen der Sohn Werner die Mutter vielfach auf dem Cello begleitete.
Beide Söhne besuchten das Goethe-Realgymnasium. Erfolgreich bestanden beide das Abitur. Werner 1924 und Reinhard 1927. Werner absolvierte ein Universitätsstudium in Leipzig, Berlin und Bonn im Fach Jura. 1927 legte er die erste juristische Staatsprüfung vor dem Oberlandesgericht in Köln ab und kehrte nach Essen zurück um am Amts- und Landgericht in Essen den juristischen Vorbereitungsdienst abzuleisten. 1930 promovierte er an der Uni Bonn. 1931 eröffnete Werner Stern in dem Haus seiner Eltern eine Praxis als Rechtanwalt.
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Die Bruckmannstraße wurde am 28.111967 in Stauderstraße umbenannt aus Anlass des 100 jährigen Bestehens der Brauerei Stauder.
Nach dem Abitur arbeitete Reinhard Stern für sechs Monate in der Maschinenfabrik Frohn in Altenessen. Ein Studium für Maschinenbau begann er im November 1927 an der TU in München. Im August 1932 bestand er die Prüfung als Diplomingenieur und trat in die Firma seines Vaters ein.
Beide Söhne erfuhren während ihrer Schulzeit keinen Antisemitismus. An der Universität erfuhren sie jedoch schon vor 1933, dass es in Deutschland schwer war, als Jude zu leben. Werner Stern versagte man die Mitgliedschaft in einem studentischen Segel- oder Skiclub.
Nach der Machtergreifung Hitlers zwang man Werner seine Anwaltskanzlei aufzugeben. Vor der Kanzlei standen zwei SA – Männer und notierten jeden. 1938 entzog man ihm die Zulassung als Rechtsanwalt. In dieser Zeit starb Käte Stern am 17. Dezember 1937 an Krebs. Ein halbes Jahr später heiratete Werner die Essenerin Hella Frohmann.
Die Lage der Fabrik in Altenessen verschlimmerte sich zusehends; Die Kunden blieben durch die Hetzkampagne gegen die Juden aus. Durch den Boykott der Stadtverwaltung erhielt man keine Aufträge mehr. Den größten Teil der Belegschaft entließ man. Die Familie überlebte die erste Zeit nur durch den Verkauf des großen Lagerbestandes. Ebenfalls stellten andere Firmen Reinhard als Maschinenbauingenieur nicht ein.
Am 15. April 1937 vermietete Kurt Stern die Werkstatt von 480 m² und das dahinter liegende unbebaute Land von 400 m² an Theodor Massenberg. Der Mietpreis betrug 2100 RM im Jahr.
Reinhard Stern glaubte nicht mehr, dass Juden in Deutschland friedlich überleben konnten und wanderte am 27 Juli 1936 nach Südafrika aus. Dort lernte er Frieda Herz, die auch aus Essen stammte, kennen und beide heirateten. Nach mehreren Aushilfsarbeiten bekam er eine Anstellung bei einem großen Ingenieurbüro.
Nach der Pogromnacht verhafteten die Gestapo Werner Stern und brachten ihn nach Dachau. Der Vater wollte sofort einen Rechtsanwalt einschalten, doch alle Versuche schlugen fehl. Viele Frauen jüdischer Verhafteter trafen sich bei Sterns und berieten ihr weiteres Vorgehen. Nach dem Reinhard bei einer Bank in Südafrika eine Kaution, hinterlegte, fand Hella einen Konsul, der ihr ein Einreisevisum für Rhodesien ausstellte. Kurt Stern bat die Gestapo Essen um Freilassung seines Sohnes, da er gelähmt war und die Arisierungsverhandlungen nicht führen konnte. Werner kam darauf hin am 28. November frei.
Nach seiner Rückkehr aus dem KZ, wickelte Werner den Verkauf der Firma ab. Er besorgte seinem Vater einen Platz im israelischen Asyl in Köln. Im Jahr 1941 schlossen die Nazis das Heim und Kurt bekam einen Platz im katholischen Krankenhaus Haus Berge in Borbeck. Er starb am 17. Februar 1941 an Lungenentzündung.
Die Familie Stern emigrierte am 5. März 1939 nach Rhodesien. Anfangs arbeitete Werner als Friseur, ehe er einen Friseursalon übernahm. Nach 13 Jahren bekam er zufällig die Möglichkeit wieder als Anwalt zu arbeiten. Anfangs musste er viel dazu lernen, schaffte es aber und setzte sich als Anwalt durch. Die Einwohner der Stadt in der er lebte, wählten ihn zum Stadtverordneten und sogar zum Bürgermeister. Werner Stern starb im September 1986.
Aus: Münster am Hellweg, 45. Jahrgang 1992, Seite 64 – 74
Hans-Jürgen Schreiber, Altenessener Geschichtskreis 11.06.2