Geschichte im Essener Norden

 

Die Bramme auf der Schurenbachhalde in Altenessen

 

Die Bramme mit der breiten Seite und den Graffitis. Im Hintergrund links ist die Arena auf Schalke zuerkennen. Das Foto ist am 20. Oktober 2008 gemacht worden.

Der Wanderweg auf der Schurenbachhalde von Norden ist schon ein besonderes Erlebnis. Der steile Weg ist an beiden Seiten mit Bäumen und dichten Sträuchern zugewachsen. Es ist fast so, wie auf einem Forstweg im Mittelgebirge. Wenn man  nach etwa einem Kilometer eine Höhe von 65 Metern geschafft hat, breitet sich eine große, schwarze Fläche vor dem Wanderer aus. Das Haldenplateau ist wie eine Mulde leicht nach innen geneigt. In der Mitte auf einer kleinen Kuppe steht die Bramme. Von weitem sieht sie noch unscheinbar aus. Erst aus der Nähe wird einem die riesige Dimension dieser Stahlplatte bewusst. An der Südseite, hinter der A 42, gibt es noch einen anstrengenden Aufstieg über eine sehr lange Treppe, sie ist eine gute Übungsstrecke für aktive Sportler.

Der Rundblick von der Halde ist eindrucksvoll: der Tetraeder und die Kokerei Prosper mit den Löschwolken in Richtung Bottrop, das große RWE – Kraftwerk und das Glaswerk in Karnap, die hohen Kamine von Scholven, die Fördertürme von Nordstern, in Richtung Gelsenkirchen die Hafenanlagen mit Speichergebäuden am Kanal, die Arena auf Schalke und die Innenstadt, nach Süden Kokerei und Zeche Zollverein und die Hochhäuser von der Essener Innenstadt.  Beeindruckend sind die vielen Halden, die im Umkreis zu sehen sind. Millionen Tonnen Waschberge haben das flache Emschertal radikal verändert und in eine Hügellandschaft verwandelt. Bei klarem Wetter und mit einem guten Fernglas sind auch die Hochöfen der Thyssenhütte am Rhein zu erkennen. Vom Rhein-Herne-Kanal hört man das Tuckern der Dieselmotoren von den vorbeifahrenden Frachtschiffen, von der Autobahn das „Dauergeräusch“ der vielen Autos.

Die Schurenbachhalde ist im Emscherbruch, in der ehemaligen Barkhover Heide aufgeschüttet worden. Durch dieses Feuchtgebiet floss damals der Schurenbach zur Emscher. Bei der Aufschüttung der Halde ist der Schurenbach verrohrt worden.
Heute hat die Emschergenossenschaft die Abwässer in Rohren um die Halde herum geleitet und für das Reinwasser ein natürliches Bachbett  neu gebaut. Der Bach schlängelt sich jetzt wieder um die Halde herum zur Emscher. Das ist auch ein gutes Zeichen für die Veränderungen im Ruhrgebiet.


Zum Foto: Ein Bild der Barkhofer Heide. Wo der Teich mit den spielenden Kindern ist, verläuft heute die A 42. Das Haus rechts befindet sich direkt hinter der A 42 – Brücke. Auf der linken Seite ist die Schurenbachhalde. Dort ist heute der Treppenaufgang zur „Bramme“. Über die Eisenbahnbrücke verlief die Strecke von Zollverein nach Nordstern. Darüber sind auch die Waschberge zur Halde transportiert worden. Nach dem Ende des Bergbaus wurde diese Eisenbahn nicht mehr gebraucht. Die Gleise sind abgebaut worden. Heute verläuft auf dieser Trasse ein „Superradweg“ von Zollverein bis zum Rhein-Herne-Kanal. Er wird gerne von Scatern und Radfahrern genutzt.
Das Foto ist aus der „Sammlung Archiv Barkhoff

In den 70-er Jahren wurde für den Abraum der Zeche Fritz eine Fläche gesucht. Das Gelände am Kanal, östlich der Zeche Fritz an der Heßlerstraße, schien geeignet. Die Genehmigung für eine neue Halde wurde erteilt. 1975 sind die ersten Waschberge abgekippt worden. In den folgenden 21 Jahren sind insgesamt 23,7 Mio. Tonnen Bergematerial abgelagert worden. Es kam mit der Eisenbahn von den Zechen Zollverein, Nordstern, Consol und Hugo.  Die letzten Waschberge sind am 25.10.1996 gekippt worden. Aus diesem Anlass fand eine „Abschiedsfeier“ statt.

Bei der Planung der Internationalen Bauausstellung „IBA – Emscherpark“ in den 1990-er Jahren, sind auch die vielen Halden im Ruhrgebiet mit einbezogen worden. Auf der Schurenbachhalde sollte eine „Landmarke“ aufgestellt werden, die die industrielle Geschichte des Ruhrgebiets zeigt.

Eine Auswahl von sechs Künstlern sollte Konzepte für Landmarken auf den Halden  entwickeln. Unter ihnen war auch Richard Serra aus New York. Serra hatte als junger Mann in einem Stahlwerk gearbeitet und so den Werkstoff Stahl kennen gelernt. Er studierte Kunst an der Universität New Haven, USA, bei Josef Albers aus Bottrop. Später wurde er sein Assistent und hat viele Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Bei ihm lernte er mit minimalen Formen große Kunst zu gestalten. Auf der Schurenbachhalde sollte die industrielle Vergangenheit des Ruhrgebiets mit Kohle und Stahl sichtbar werden. Es war eine lange Entwicklung mit vielen Entwürfen und Diskussionen. Serras Ideen fanden bei der IBA und dem KVR große Zustimmung. Nach seinem Entwurf entstand auf der Halde eine große, schwarze, nach innen leicht geneigte Fläche. Sie soll an Bergbau und Kohle erinnern. Genau im Mittelpunkt dieser „Mulde“ wurde die große 70 To. schwere Stahlbramme mit der Breitseite exakt in Ost – West – Richtung aufgestellt  Mit der kleinen Neigung  von 3° nach Süden entsteht der Eindruck: sie würde in den Boden versinken. Sie ist das Symbol für die Eisen- und Stahlerzeugung. Serra hat es geschafft, mit  minimalen  Ausdrucksformen ein großes Meisterwerk zu schaffen.

Bei der Herstellung der Bramme gab es viele Probleme. Alle Blockwalzwerke in Deutschland sind in den letzten 30 Jahren stillgelegt und abgebaut worden. Sie waren technisch überholt. Das letzte Blockgerüst in Deutschland auf der Henrichshütte in Hattingen wurde in den 1990-er Jahren verschrottet. Nur bei der Firma „Creusot-Loire-Industries“ in Chateauneuf gibt es heute noch ein Brammen-Blockwalzwerk, auf dem große Brammen bis 90 To. Gewicht und 900 mm Dicke gewalzt werden können. Die Anlage wurde 1932 von der Maschinenfabrik Sack in Düsseldorf – Raht gebaut  So ist also die „Bramme für das Ruhrgebiet“ in unserem Nachbarland Frankreich hergestellt worden.


Das Blockwalzgerüst in Chateauneuf mit einer Bramme. Das Foto ist aus der Internet – Seite von „Creusot-Loire-Industries“. Zwischen den beiden Walzanzeigern ist der Name Sack zu erkennen.
Die Firma „Gelenkwellenbau“ in Essen stellt seit Mitte der 1960-er Jahre schwere Gelenkwellen für Walzwerke her. Sie sind in allen Walzwerken der Fa. Sack und bei Creusot Loire seit vielen Jahren im Einsatz

Zur Geschichte der Bramme: In Le Creusot wurde um 1768 bereits Kohle abgebaut. Auf dieser Grundlage entstand auch eine Eisengießerei. Um 1836 hat die Familie Schneider die Fabrik übernommen und zum größten Industriebetrieb in Frankreich ausgebaut. Mitglieder der Familie waren „Kriegsminister“ in der französischen Regierung. Der „Kanonenbau“ wurde ein wichtiger Produktionszweig. In der gleichen Zeit wurden auch bei Krupp in Essen Kanonen gebaut. In den Kriegen zwischen Deutschland und Frankreich ab 1870 haben die Soldaten mit Kanonen aus Le Creusot  und Essen aufeinander geschossen. Schneider war immer ein großer Konkurrent von Krupp auf dem internationalen Waffenmarkt. Bis 1960 war die Familie auch Haupteigentümer der Firmengruppe. Nach dem Tode des letzten Mitglieds der Familie Schneider im Jahr 1960 sind alle Fabriken in der „Creusot Loire – Gruppe“ zusammengeschlossen worden. Das war die gleiche Entwicklung wie bei Krupp in Essen.

Die „Bramme für das Ruhrgebiet“ auf der Schurenbachhalde kommt also aus einer der früheren  großen „Waffenschmieden“  Franreichs. Sie erinnert uns auch daran, dass es seit 1945 zwischen  Deutschland und Frankreich keinen Krieg mehr gegeben hat. Eine so lange Friedenszeit von 71 Jahren hat es in der Geschichte beider Nachbarländer noch nie gegeben!


26.08.2016 Günter Napierala
Altenessener Geschichtskreis