Geschichte im Essener Norden

 

Die Gräber der Toten vom Kapp–Putsch 1920 auf dem Nordfriedhof in Altenessen


 Auf dem Nordfriedhof in Altenessen erinnert eine Gedenktafel vor einem eingeebneten Gräberfeld  an 21 Menschen, die im März 1920 bei den Kämpfen der Roten Ruhrarmee gegen die Kapp–Putschisten ihr Leben verloren.

Am 13. März 1920 verübten Truppen der Marinebrigade Erhard unter der Leitung des Generals von Lüttwitz einen Putsch gegen die gewählte Reichsregierung in Berlin. Ihre Forderung war, den Leiter der Ostpreußischen Landesdirektion  Wolfgang Kapp zum Reichskanzler zu ernennen und mit ihm eine Führerdiktatur aufzubauen. Kapp erklärte an diesem Tag den Reichskanzler Gustav Bauer für abgesetzt und die Nationalversammlung für aufgelöst. Er ernannte sich selber zum Reichskanzler. Die Niederlage im Ersten Weltkrieg hatte er als nationale Schande empfunden. Die Reichswehr verhielt sich abwartend.


Es kam schnell zum Widerstand gegen diese „Regierung“. Vor allem im Ruhrgebiet formierte sich innerhalb weniger Tage die „Rote Ruhrarmee“ mit gewählten Führern. Mitglieder der SPD, der KPD und auch Teile der christlichen Arbeitnehmerschaft hatten sich zusammengeschlossen, um gegen die Putschisten zu kämpfen. In nur einer Woche hatte die Rote Ruhrarmee das gesamte Gebiet von der Lippe bis zur Wupper von den Putschisten befreit.

Der am 17. März 1920 ausgerufene Generalstreik hatte das ganze öffentliche Leben lahm gelegt. Vor diesem Hintergrund griff die Reichswehr unter der Führung des Generals von Watter mit Rückendeckung der regulären Reichsregierung ein. Starke Verbände wurden von Berlin aus in Richtung Ruhrgebiet verlegt. Es kam zu schweren Kämpfen mit vielen Toten. In Altenessen war die Brücke über dem Rhein–Herne–Kanal ein strategisch wichtiger Punkt. Von Karnap aus griff die Reichswehr mit Geschützen die Widerstandsgruppen auf der Altenessener Seite an. Durch das Granatfeuer der Soldaten wurden viele Menschen getötet und mehrere Häuser auf der Nordstern- und Altenessener Strasse schwer beschädigt.

Im Beerdigungsregister des Nordfriedhofs Altenessen sind in der Zeit vom 9. bis zum 28. April 1920  Beerdigungen von 21 Opfern dieser Angriffe verzeichnet worden. Ernst Schmidt hatte später von 18 Toten  die Namen ermitteln können,  3 sind unbekannt geblieben. Der jüngste von ihnen war 19, der älteste 50 Jahre alt. Die meisten Todesopfer haben in der Heßlerstraße, Nordsternstraße, Rahmdörne und Böhmerheide gewohnt. Die Gräber schlossen sich rechts und links an die Kriegergräber des Nordfriedhofs an und bildeten mit diesen eine geschlossene Einheit. Alle Toten wurden auf dem Feld in fortlaufender Reihenfolge beigesetzt - sowohl aktive Rot-Kämpfer als auch unbeteiligte Opfer. Ihre Gräber wurden  im Beerdigungsregister als „Ehrengräber – Opfer“ des Kommunistischen Aufstandes geführt. Die Kommunistische Partei hatte viele Jahre einen großen Kranz mit dem „Sowjetzeichen“ dort niedergelegt. 

Bis 1933 sind diese Gräber von der Friedhofsverwaltung  mit den Kriegsgräbern zusammen gepflegt und auch in gleicher Weise bepflanzt worden. Nach der Machtübernahme 1933 gab es Anträge von Familien auf Umbettung mit der Begründung, „ihre Angehörigen seien keine Kommunisten gewesen“, sondern zufällige Opfer. Alle Anträge sind abgelehnt worden, da es nicht möglich sei festzustellen, wer Unbeteiligter war und wer nicht. Es sollten auch keine Präzedenzfälle geschaffen werden. Von der NSDAP  wurde darauf hingewiesen, dass es auch nicht zumutbar sei, diese „Kommunistengräber“ von der Stadt weiter zu pflegen. Als „Ungepflegte Gräber“ sind sie dann am Jahresende 1935 von der Friedhofsverwaltung eingeebnet worden.

Die Gräber gerieten in Vergessenheit. Es gab keinen Hinweis, dass hier die letzte Ruhestätte von Arbeitern war, die 1920  ihr Leben zur Verteidigung der Republik  im Kampf gegen die Putschisten verloren hatten. In den 80er Jahren begann Ernst Schmidt mit der Aufarbeitung der politischen Geschichte der 20er Jahre. Anfang 1985  beantragte die DKP-Fraktion  in der BV 5 aus Anlass der Befreiung vom Faschismus an den  Ehrengräbern auf dem Nordfriedhof eine Gedenkveranstaltung für alle Opfer durchzuführen – der Antrag wurde einstimmig (!) angenommen. Die Veranstaltung fand am 1.4.1985 statt.

Tagesordnungs-Punkt 13 der Ratssitzung vom 25.05.1988 lautete:
„Gedenktafeln an Stätten des Widerstandes und Verfolgung während des Nationalsozialismus in Essen“.
Es wurde beschlossen, an 27 Stellen im Stadtgebiet Gedenktafeln aufzustellen.
Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Dr. Borsdorf vom Ruhlandmuseum, zu der auch Ernst Schmidt gehörte, hatte ein Konzept entwickelt, um den Bürgern an Einzelbeispielen die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus wach zu halten.  Es gab erhebliche Meinungsverschiedenheiten zum Text und zu den Aufstellungsorten der Tafeln Nr. 22 bis 25  für die Toten vom Kapp-Putsch. Dazu gehörte auch das Gräberfeld auf dem Nordfriedhof. Die CDU–Fraktion sah hier eine „Linksschiefe Geschichtsbetrachtung“, die sie so nicht mittragen könne. Die Texte und Orte der Tafeln von Nr. 1 bis 21 und Nr. 27 wurden einstimmig  angenommen, Nr. 22 bis 25 mehrheitlich gegen die Stimmen der CDU–Faktion.
Ab 1989 sind  alle Gedenktafeln aufgestellt worden.


Am Gräberfeld auf dem Nordfriedhof bleiben an der Tafel immer wieder Besucher stehen und lesen die Inschrift:

Hier ruhen 21 Menschen, deren Gräber von den Nationalsozialisten eingeebnet wurden. Die Toten waren Arbeiter, die im März 1920 zur Abwehr des republik-feindlichen Kapp-Putsches und für ihre weitergehenden revolutionären Ziele die Waffen ergriffen, und andere Männer und Frauen, die in den bürgerkriegsartigen Kämpfen als Unbeteiligte ihr Leben ließen.


Dank an Frau Hartung „Ernst-Schmidt-Archiv“, Frau Holtermann, Stadtarchiv und Jürgen Beese, DKP Essen. für Informationen zum Thema.


Literatur – Auswahl: Gaudig-Lomberg-Schmidt, „Essen anders gesehen, Herausgeber VVN 04.1984
Fittkau „Ruhrkampf 1920,“ Klartext Verlag 1990
Schmidt „Essen erinnert“  Klartext Verlag 1991


25.04.2019 Altenessener Geschichtskreis, Günter Napierala